«Schlossgespenster gibt es bei uns nicht», weiss Dieter Ruckstuhl, der als Geschäftsführer und Kurator mit seiner Familie seit 1995 auf dem barocken Schloss Heidegg lebt. «Schliesslich gab es hier nie einen Galgen oder einen Kerker». Doch er weiss auch: In diesen alten Gemäuern hausen Wesen, die einem einen gehörigen Schrecken einjagen können.
In einer eisigen Winternacht wachte Dieter Ruckstuhl auf in der Sorge, die Wasserleitungen im Schloss könnten einfrieren. Es war Mitternacht, als er allein ins Schloss ging, die Wendeltreppe erklomm und den alten Kachelofen öffnete, um Feuer zu machen. «Plötzlich stob und flatterte es um meinen Kopf herum», erinnert er sich mit einem Schaudern. Ob es wohl doch ein Gespenst in diesem Schloss gab? Er fasste sich ein Herz und blickte dem vermeintlichen Geist ins Gesicht: Ein Waldkauz war durch den Kamin gefallen und im Ofen gefangen gewesen. «Seit jener Nacht höre ich den Kauz immer wieder rufen.»
Unzählige Geschichten ranken sich um die Heidegg, deren erste Mauern um 1192 auf einer Seitenmoräne errichtet worden waren. Im Sempacherkrieg im Jahr 1386 hatte die Heidegg als einzige Burg weitherum die Brandanschläge der Eidgenossen überlebt. Weil plötzlich aufgezogener Nebel sie umhüllte, als die Soldaten durchs Seetal zogen, so die Sage. Die uralten Gemäuer des Schlosses wissen viel zu erzählen. Und ich höre zu. Der Kellerraum verdunkelt sich. Die Mauern beginnen zu leben, versetzen mich ins 12. Jahrhundert...
Die preisgekrönten Turmkellergeschichten sind Ruckstuhls jüngstes Projekt. Gemeinsam mit einem Szenografen, einem Sounddesigner und dem Zeichner Jonas Raeber hat er die einzigartige Idee umgesetzt. «Jede Besucherin, jeder Besucher soll mit einem bereichernden Erlebnis und einem guten Gefühl von hier weggehen», erklärt Dieter Ruckstuhl.
Preisgekrönte Turmkellergeschichten
Nach diesem Abstecher in die Vergangenheit führt uns eine Treppe zum kleinen Café mit seiner mittelalterlichen Balkendecke. Überall gibt es Malstationen, und eine zerlegte Modellburg lädt zum Bauen ein. Über eine enge Wendeltreppe aus Eichenholz gelangen wir zu den Wohngeschossen. Es riecht nach altem Schloss. Gemälde zeigen die Persönlichkeiten, die einst hier hausten und deren ernste und durchdringenden Blicke leichtes Unbehagen bei mir auslösen. Die Sicht aus dem Fenster des grossen Ballsaals mit den Deckengemälden und Stuckaturen holt mich zurück in die Gegenwart, lässt das Einst mit dem Jetzt verschmelzen. Unzählige Paare hätten sich hier das Ja-Wort gegeben, im Rahmen von zivilen, kirchlichen und auch freien Zeremonien, erzählt Dieter Ruckstuhl.
Was danach folgt, lässt Kinderherzen höherschlagen: Mit Knete aus Quarzsand Burgen, mit Schaumstoffblöcken gotische und romanische Bögen bauen, sich als Burgfrölein oder Diener verkleiden. Die Wand der antiken Ankleide ziert eine riesige Fotografie der ehemaligen Besitzerfamilie Pfyffer von Heidegg aus dem Jahr 1901. Durch eine schmale und sehr niedrige Türe führt uns die Treppe ins Dachgeschoss. Blaue Lichter, Matten mit unzähligen Kissen, grosse Bauklötze und in der Mitte eine riesige Klang-Kugelbahn, die nur durch Teamgeist zum Klingen kommt. Welch ein Kindertraum! «Dies ist als Entlastung von all den Johannes und Mathildes gedacht», meint Ruckstuhl mit einem verschmitzten Lächeln.
Das Schloss mit Leben zu füllen, ist ein Herzensanliegen von Dieter Ruckstuhl und dem über dreissigköpfigen Schlossteam. Und so beleben den historischen Ort Anlässe wie der Schlössertag, ein Openair-Kino, Serenaden, Pop-Konzerte und alle drei Jahre ein Schlossfest. «Im Rahmen des Seetaler Poesie-Sommers finden Lesungen statt, bei den Weinwanderungen bildet die Heidegg den Schlusspunkt und die Seetaler Herzschlaufe führt auch E-Biker bis hierher.» Rund 25‘000 Besucher kommen Jahr für Jahr auf die Heidegg.